Erwiderung zum Artikel in den OUMN 2017, 07 (6)

Weiterbildung und Versorgungsstrukturen
Anmerkungen zum Artikel in Orthopädie und Unfallchirurgie 2017; 07 (6)

In dem o.g. Artikel aus der Rubrik „Aus unserem Fach / Weiter- und Fortbildungen“ wird zu Beginn die Frage gestellt: „Was hat die Weiterbildung mit den Versorgungsstrukturen zu tun?“ Die Autoren gehen hier auf die (unüberlegte?) Entscheidung des Deutschen Ärztetages ein, welche das Fach Allgemeinchirurgie als „Chirurgie des Häufigen“ bezeichnet. Es wird in dem Artikel die Tabelle der zwanzig häufigsten Operationen zitiert und verdeutlicht, dass innerhalb dieser Gruppe tatsächlich spezialisierte Eingriffe sowohl aus dem Fach der Viszeralchirurgie, als auch aus dem Fach der Unfallchirurgie und Orthopädie aufgelistet sind. Dies ist aus unserer Sicht unwidersprochen. Ersetzt man aber den Begriff „Chirurgie des Häufigen“ durch den Begriff „Chirurgische Grundversorgung“ so wirft dies auf den Facharzt für Allgemeinchirurgie aus unserer Sicht ein komplett anderes Licht. Es kommt dann zum Ausdruck, was unseres Erachtens die Intension des Deutschen Ärztetages war, nämlich eine chirurgische und unfallchirurgisch-orthopädische Grundversorgung flächendeckend und auf Dauer zu gewährleisten.

Die Autoren des o.g. Beitrages haben selbstverständlich völlig Recht, wenn sie die Spezialisierung in der Medizin als Megatrend bezeichnen, der sich seit 2010 durchgängig fortgesetzt hat und die Chirurgie als Ganzes betrifft. Ebenso ist es natürlich korrekt, daß bereits 76 % aller Grund- und Regelversorger getrennte Abteilungen für Visceralchirurgie bzw. O&U haben.
Aber speziell im Bereich dieser Kliniken muss nach wie vor die Versorgungsrealität betrachtet werden. Es gibt vielerorts fachübergreifende Bereitschaftsdienste, in denen Allgemeinchirurgen wie auch Unfallchirurgen/Orthopäden am chirurgischen Vordergrund-Dienst teilnehmen müssen. Dies ist natürlich der Verknappung der Personalressourcen, besonders bei den Grund- und Regelversorgern, geschuldet. In diesem Zusammenhang muß zudem beachtet werden, daß auch im Bereich der allgemeinen KV-ärztlichen ambulanten Versorgung der chirurgische Nachwuchs kaum noch zu rekrutieren ist, was den Kliniken der Grund und Regelversorgung schon jetzt – besonders außerhalb der Regelarbeitszeiten – vermehrt die Aufgabe der allgemeinen chirurgischen bzw. orthopädisch-unfallchirurgischen Grundversorgung zukommen lässt.

Den allgemeinen wirtschaftlichen Zwängen jedoch folgend, schließen sich auch diese Kliniken dem Trend der Spezialisierungen an. Fachkliniken für orthopädische Rheumatologie und Rheumachirurgie, spezialisierte Wirbelsäulen-Abteilungen, Sportorthopädien oder ähnliches werden deutschlandweit auch in kleinen Versorgungs-einheiten installiert. Dies hat selbstverständlich auch grundlegende Auswirkungen hinsichtlich der Weiterbildung. Natürlich können Assistenten, die später (im niedergelassenen Sektor oder auch im stationären Umfeld) als Fachärzte leitende Positionen übernehmen wollen, eine spezialisierte Ausbildung genießen. Es fehlt dann aber die fachliche Breite, die „allgemeine chirurgische Basis“, die für das Erkennen von chirurgischen Krankheitsbildern bzw. der zielgerichteten Behandlung von Verletzungen oder speziellen Problemen im Bereich des Bewegungsapparates unerlässlich ist. Ein Assistent, der in einer Wirbelsäulenabteilung seine Ausbildung genießt wird sicher Probleme haben, die Kniedistorsion des Fußballers am Wochenende korrekt einzuordnen. Gleiches gilt für den Sportorthopäden in Ausbildung, der die verletzte Hand eines Hobbyhandwerkers am Freitagabend zielführend untersuchen soll und keine Sehnenverletzung übersehen darf.

Die Autoren stellen die Frage: „Ist es da nicht angebracht, der Spezialisierung auch in der Weiterbildung Rechnung zu tragen?“ Natürlich muss dieser Spezialisierung Rechnung getragen werden. Grundlage einer jeden Spezialisierung ist aber eine fundierte und breite Grundausbildung – nicht in der „Chirurgie des Häufigen“, sondern in der „Chirurgie der Grundversorgung“. Ob dazu der bisherige Common Trunk geeignet ist, muss an dieser Stelle allerdings bezweifelt werden, vor allem wenn man betrachtet, wie er derzeit im Alltag vielerorts gelebt – oder besser gesagt nicht gelebt – wird.
Dass die direkte Beziehung zwischen der Anzahl der durchgeführten Eingriffe und deren Ergebnisse (Volume/Outcome) ein entscheidender Faktor in der Versorgung darstellt ist bekannt, aber nach wie vor noch nicht abschließend diskutiert. In diesem Zusammenhang sei beispielsweise der Hinweis gestattet, daß bei jeglichem Diskurs über „Häufigkeit“ unter dem Vorwand der Qualitätssteigerung zwar immer eine Mindestmenge gefordert, eine korrespondierende Obergrenze („Maximalmenge“) interessanterweise jedoch nie genannt wird, obwohl seit langem bekannt ist, daß chirurgische Ergebnisqualität nach überschreiten einer gewissen Obergrenze wieder absinkt.

Zusammenfassen möchten wir festhalten, daß der Beschluss des Ärztetages unserer Meinung nach weder der Qualitätssicherung, noch der Bürgerorientierung entgegen steht. Er hat vielmehr – da sind wir mit den Autoren des genannten Artikels einer Meinung – den Terminus technicus „Chirurgie des Häufigen“ falsch eingesetzt. Vielmehr wäre der Begriff „Chirurgie der Grundversorgung“ der bessere Ausdruck, sowohl hinsichtlich der Ausbildung als auch hinsichtlich der Versorgungsrealität.

Der Weg hin zu einer möglichen Spezialisierung in O&U kann unseres Erachtens nach nur über eine breite und fundierte Aus- und Weiterbildung erfolgen. Dies gilt für die allgemeine Chirurgie genauso, wie sowohl für den orthopädischen, als auch den unfallchirurgischen Teil unseres Fachgebietes. Bei Ersterem muß beispielsweise definitiv auch die konservative Orthopädie wieder in die reale Ausbildung integriert werden. Bei Letzterem kommt in Zeiten bereits erfolgter – und nach wie vor auch weiterhin real existierender Gefahr für – Terroranschläge in unserem Land eine ganz besondere Bedeutung zu. Der breit ausgebildete Unfallchirurg, der Frakturversorgung wie auch Notfalleingriffe an den Körperhöhlen durchführen kann, wird aus unserer Sicht auf Dauer als Spezialist in der akuten Trauma-Versorgung unabdingbar sein. Auch er braucht zunächst eine breite Grundausbildung, um sich dann spezialisiert auf die Versorgung von Schwerstverletzten – sowohl im Individualfall als auch im Massenanfall – spezialisieren zu können und ggf. in einer MANV-/Terror-Lage als Alleinverantwortlicher alle lebenserhaltenden Notfalleingriffe – auch im Bereich der Körperhöhlen – durchführen zu können.
Exemplarisch und vorbildhaft kann in diesem Zusammenhang das Ausbildungskonzept der Bundeswehr genannt werden. Während „daheim“ die Spezialisierung in den großen Bundeswehrkrankenhäusern gelebt und gelehrt wird, kommt im Auslandseinsatz der breit ausgebildete Unfallchirurg zum Einsatz, der Notfalleingriffe (incl. Höhlen-Trauma!) kompetent aus einer Hand versorgen kann. Zwei chirurgische Fähigkeiten, die sich keinesfalls gegenseitig ausschließen und die – wie die Untersuchungen der Bundeswehr belegen – hinsichtlich des outcomes der Schwerverletzten im Einsatz keine Vergleiche mit der „normalen“ Traumaversorgung hier in Deutschland scheuen muß.

Zusammenfassend haben die Autoren Recht, dass im Sinne der Qualitätssicherung eine Spezialisierung auch innerhalb des Faches Orthopädie/Unfallchirurgie notwendig ist. Hier kann nicht widersprochen werden. Es wird eine Zentralisierung für spezifische Eingriffe erfolgen, dieser Trend wird fortgesetzt. Es darf aber, und hier müssen wir den Autoren widersprechen, nicht aus den Augen gelassen werden, dass die flächendeckende Grundversorgung der Bevölkerung durch einen breit ausgebildeten Chirurgen bzw. Orthopäden/Unfallchirurgen in den Häusern der Grund- und Regelversorgung und im niedergelassenen Bereich weiterhin dringend von Nöten sein wird. Hierzu ist der Facharzt für Allgemeinchirurgie aus unserer Sicht prädestiniert und in Zukunft unverzichtbar.

Daher muss man die Frage: „Was hat die Weiterbildung mit den Versorgungsstrukturen zu tun?“ mit „sehr viel“ beantwortet werden, nämlich die flächendeckende Grundversorgung der Bevölkerung.

Wir möchten anregen, den Terminus „Chirurgie des Häufigen“ durch den Terminus „Chirurgische Grundversorgung“ zu ersetzen, den Facharzt für Allgemeinchirurgie weiterhin beizubehalten und darüber hinaus zu ermöglichen, dass in der Facharztausbildung eine Rotation zwischen Allgemeinchirurgie und Orthopädie/Unfallchirurgie bei entsprechender Interessenslage des Fortzubildenden eingerichtet und entsprechend (finanziell wie personell) von den entsprechenden Stellen unterstützt bzw. ermöglicht wird.

J. Schmid, M. Oberst